Alexander von Bismarck über Diplomatie, Dialog und die Rückkehr zu einer Politik der Vernunft
Von Michael Huppertz
Berlin. – Beim jüngsten BRICS-Stammtisch, organisiert von Volker Tschapke und Stephan Ossenkopp, sprach Alexander von Bismarck, Großneffe des Reichskanzlers Otto von Bismarck, über seine jüngste Russlandreise – und über die Notwendigkeit, den Gesprächsfaden zwischen Deutschland und Russland wieder aufzunehmen.
Für zina24.de wurde der Abend aufgezeichnet. Aus dem rund 45-minütigen Vortrag entstand ein Teaser, die vollständige Aufzeichnung folgt in den kommenden Tagen.
Otto von Bismarck und das Prinzip der Verständigung
Alexander von Bismarck greift in seinem Vortrag auf Zitate aus der Familienchronik der Bismarcks zurück, um seine Gedanken in den historischen Kontext einzuordnen und zugleich auf die Gegenwart zu übertragen.
Eines dieser Zitate stammt aus einer Rede seines Urgroßonkels Otto von Bismarck, das andere gilt bis heute als Kernsatz seiner Friedenspolitik.
„Wenn Deutschland und Russland Freunde sind, geht es Europa gut.“
Dieses Zitat markiert die Leitlinie einer Politik, die auf Stabilität statt Konfrontation zielte. Otto von Bismarck verstand Diplomatie als Sicherheitsinstrument, nicht als Bühne moralischer Überlegenheit. Russland war für ihn Partner im europäischen Gleichgewicht – eine Haltung, die Alexander von Bismarck heute bewusst wiederbelebt.
Die vollständige Aufzeichnung, ca 45 Minuten
Alexander von Bismarck – ein Nachfahre zwischen Geschichte und Gegenwart
Otto von Bismarck (1815–1898) war der erste Reichskanzler des Deutschen Kaiserreichs und gilt als Architekt des europäischen Gleichgewichts im 19. Jahrhundert. Nach den Einigungskriegen suchte er nicht den nächsten Gegner, sondern den nächsten Frieden. Seine Politik war geprägt von klarem Machtbewusstsein, aber auch von der Einsicht, dass dauerhafte Stabilität nur durch Verständigung zu erreichen ist.
Ein Schlüssel seiner Außenpolitik war das Verhältnis zu Russland. Bismarck kannte das Land aus eigener Erfahrung – in den 1850er-Jahren war er preußischer Gesandter in St. Petersburg. Diese Zeit prägte sein Verständnis für russische Politik und Mentalität. Später setzte er auf Bündnisse, die das Verhältnis festigten: das Dreikaiserabkommen von 1873 und den Rückversicherungsvertrag von 1887. Beide sollten verhindern, dass Deutschland zwischen West und Ost zerrieben wird.
Bismarcks größte Leistung war es, das neu gegründete Reich in einem komplizierten europäischen Machtgefüge abzusichern – durch Diplomatie statt Expansion, durch Dialog statt Rivalität. Er sah in Russland keinen Feind, sondern einen Partner für Stabilität
Der heutige von Bismarck ist kein Politiker im klassischen Sinne, sondern ein Unternehmer und Netzwerker, der Brücken zwischen Wirtschaft, Kultur und Diplomatie schlägt. Er sieht sich in der geistigen Tradition seines berühmten Vorfahren – als Vermittler über ideologische Grenzen hinweg.
Er beschreibt Jugend- und Kulturaustausch als moderne Form der Diplomatie: „Menschen verbinden, bevor Staaten verhandeln“, lautet sein Leitgedanke.
Er selbst sieht sich nicht als Politiker, betont aber, dass er „alle kenne“ – Diplomaten, Unternehmer, Abgeordnete aus Moskau wie aus Berlin. Genau diese Kontakte nutzt er, um Gesprächsräume offen zu halten, wo offizielle Kanäle längst verstummt sind.
„Lügen können Kriege in Bewegung setzen, Wahrheiten dagegen ganze Armeen aufhalten“
Otto von Bismarck
Aus dieser Haltung heraus gründete er den Bismarck-Dialog, ein Forum, das den direkten Austausch mit russischen Abgeordneten und Wissenschaftlern sucht – darunter Alexander Dugin, dessen Tochter Darya Dugina 2022 bei einem Anschlag mit einer Autobombe ums Leben kam. Nach russischen Ermittlungen galt der Anschlag Dugin selbst; die Hintergründe sind bis heute nicht abschließend geklärt.
Von historischer Linie zur Gegenwart – Russland und Deutschland
In seiner Rede macht Alexander von Bismarck deutlich, dass er den Dialog mit Russland als politische Pflicht begreift.
Sinngemäß betont er, Deutschland müsse nicht nur wollen, sondern auch können – und die Russen erwarteten das sogar.
Mit „können“ meint er ausdrücklich die Fähigkeit, selbst diplomatisch zu handeln: Gespräche zu führen, auch wenn sie unbequem sind; Interessen zu vertreten, ohne sie moralisch zu überhöhen; Brücken zu bauen, wo andere Mauern ziehen. Deutschland, so seine Botschaft, solle wieder einen eigenen außenpolitischen Willen entwickeln – jenseits von Automatismen in Bündnissen und Blockdenken.
„Viele Russen empfinden vor allem eines: Traurigkeit. Traurigkeit darüber, dass die Gesprächsbereitschaft auf deutscher Seite nahezu erloschen ist. Gerade jüngere Russen suchen den Austausch, sie wollen die Beziehungen neu beleben. Hass – das ist ihnen fremd, und er prägt weder ihren Alltag noch den Großteil der Bevölkerung. Zurück bleibt vor allem nur dieses Gefühl: Sie sind schlicht traurig über den verlorenen Dialog.“ Alexander von Bismarck
„Natürlich“, sagt Bismarck, „vertritt jedes Land seine eigenen Interessen – doch das darf kein Hindernis sein, sondern die Grundlage jedes ernsthaften Gesprächs.“ Von russischer Seite, so seine Einschätzung, gehe keine Blockade aus.
In einem Gespräch mit zina24.de betont er, dass es Lösungen gebe: Jeder könne sich an die deutsch-russische Freundschaftsgesellschaft oder direkt an die Botschaft wenden. Das seien Korridore, die einen Dialog ermöglichen – jenseits medialer Aufgeregtheit und parteipolitischen Getriebes. Man müsse nur den Mut aufbringen, solche Kontakte zu suchen, um den Austausch von Erfahrungen wieder zu beleben. Foren dafür, sagt Bismarck, gebe es genug – auf ganz unterschiedlichen Ebenen.
„Die Russen“, wiederholt von Bismarck mehrfach im Gespräch, „sind dazu bereit. Sie wollen Frieden – und sie wissen, dass auch sie selbst etwas dafür tun müssen.“ Besonders bemerkenswert seien, so Bismarck, die zahlreichen Städtepartnerschaften zwischen Deutschland und Russland: „Warum sollte gerade dieser Dialog unterbrochen werden?“ Russland, sagt er, sei Vielmehr für Begegnung offen – und nach seiner Erfahrung in Moskau „eine Stadt voller Leben, Energie und Offenheit“. Selbst um vier Uhr morgens seien die Restaurants voll, „die Menschen sitzen zusammen und lachen“ und ergänzt: etwas das man in Deutschland nicht mehr so oft sehe.
Sein Fazit: Russland sei nicht das abgeschottete Land, das viele westliche Medien zeichnen – sondern ein Ort, an dem Zukunftszuversicht und Realität nebeneinander existieren.
„Städtepartnerschaften sind Friedensangebote von unten“, sagte 1988 der damalige Kölner Bürgermeister Norbert Burger, als Köln mit dem russischen Wolgograd eine Städtepartnerschaft abschloss. Auch wenn die politischen Beziehungen auf Eis liegen – Städtepartnerschaften ermöglichen eine direkte Kommunikation zwischen den Zivilgesellschaften. Nach 1945 wurden die ersten Städtepartnerschaften zunächst zwischen deutschen und Städten der Alliierten gegründet, um die Versöhnung innerhalb Europas voranzutreiben. Deutschland hat über 5000 weltweite Städtepartnerschaften – inoffizielle Partnerschaften, auch Städtefreundschaften genannt, ist weitaus größer. Deutsch-Russische Städtepartnerschaften gibt es heute offiziell 90 Stück.“ Auszug von Internetseite Deutsch-Russische Freundschaft/Städtepartnerschaft
Appell für den Frieden
Besonders eindringlich wird von Bismarck, als er auf den Krieg in der Ukraine zu sprechen kommt. Er mahnt ein schnelles Ende der Kämpfe an und stellt die Sinnhaftigkeit des fortgesetzten Blutvergießens offen infrage. Dabei erinnert er an das Minsker Abkommen – und noch deutlicher an die UN-Charta von 1945, die das Prinzip der friedlichen Konfliktlösung und der souveränen Gleichheit der Staaten festschreibt.
Er spricht von jungen Menschen, „die auf beiden Seiten sterben – als bloßes „Kanonenfutter“ eines Krieges, der längst mehr als ein Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist“. Seiner Einschätzung nach handelt es sich um ein geopolitisches Ringen, „in dem die Interessen der USA und Russlands aufeinanderprallen“.
Von Bismarck verweist in diesem Zusammenhang auf Gespräche aus dem Umfeld des US-Präsidenten Donald Trump, über die er berichtet: Trump wolle, so von Bismarck, „alle Kriege beenden“, auch in dem Bewusstsein, dass „die Staatsmacht der USA nicht mehr überall zugleich präsent sein könne“. Für ihn sei das keine Parteinahme, sondern Ausdruck einer Hoffnung auf politische Vernunft jenseits von Ideologie.
Medienkritik und politische Nüchternheit
In seiner Medienkritik knüpft Alexander von Bismarck an die Tradition seiner Familie an. Das eingangs zitierte Wort über die Macht der Wahrheit stammt von Otto von Bismarck – Alexander betont, dass er diesem Prinzip folgt: Wahrheit als Fundament, Dialog als Werkzeug.
Er wirbt für mehr journalistisches Hinterfragen und eine Abkehr vom moralischen Pathos in der Außenpolitik. „Pragmatismus statt Pose“ – so fasst er seinen Standpunkt zusammen. Außenpolitik, sagt er, müsse wieder dem dienen, wofür sie einst geschaffen wurde: dem Frieden.
Der Abend im Rückblick: Frieden braucht alle – und den Mut zur Diplomatie
Der BRICS-Stammtisch zeigte, dass historische Sätze manchmal aktueller sind als politische Programme.
„Wenn Deutschland und Russland Freunde sind, geht es Europa gut“ – dieser Gedanke aus der Feder Otto von Bismarcks wurde an diesem Abend nicht nur zitiert, sondern neu interpretiert: als Einladung, den Dialog dort wiederaufzunehmen, wo er in Misstrauen und Sprachlosigkeit abgebrochen ist. Was einst als diplomatische Vernunft galt, ist heute zu einer politischen Herausforderung geworden – gerade für Deutschland und seine Regierung. Statt auf Abschottung und moralische Abgrenzung zu setzen, brauche es, so der Tenor des Abends, wieder den Mut zur Diplomatie: den Mut, zu reden, auch wenn es schwierig ist; zu vermitteln, auch wenn es unbequem wird.
Willy Brandt hatte einst gesagt: „Mehr Demokratie wagen.“
Im Geiste Bismarcks ließe sich dieser Satz heute fortschreiben – als Appell an die Gegenwart:
Mehr Diplomatie wagen.
Der vollständige Vortrag wird in den kommenden Tagen auf zina24.de diesen Beitrag zur Debatte ergänzen, wie viel Realpolitik und Vernunft sich Europa im Jahr 2025 noch zutraut. Der ursprüngliche Beitrag wurde am 5. November 2025 nach einem Gespräch mit Alexander von Bismarck ergänzt.
Links
https://www.bismarck-doebbelin.de
https://www.youtube.com/@AlexandervonBismarck
https://www.bismarck-stiftung.de
UN Charta 1945: https://unric.org/de/charta
Deutsch-russisches Forum: https://www.deutsch-russisches-forum.de
Russische Botschaft Berlin: https://germany.mid.ru/de/












