Was geschieht, wenn ein Land streng nach dem AfD-Programm regiert würde? Abschottung an den Grenzen, Frauen zurück an den Herd, Kohle statt Energiewende, Steuergeschenke für Reiche – und eine Medienwelt, die zum Sprachrohr der Macht verkommt. Ein Szenario, das zeigt, wie schnell ein Parteiprogramm zur Dystopie werden kann. Die Ereignisse der letzten Tage haben den Ton in den sozialen Medien spürbar verschärft. Seit die AfD vom Land Brandenburg vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wurde, überzieht eine Welle selbstbewusster, oft überheblicher Kommentare die digitalen Debattenräume – fast ausschließlich von AfD-Anhängern. Inhaltliche Tiefe? Selten. Stattdessen dominieren Bauchgefühl, Schlagworte und Parolen. Wer sich widersetzt, wird mit reflexhafter Schärfe attackiert. Viele AfD-Anhänger fühlen sich nun „gejagt“ – und reagieren mit Trotz.
Aktuell ist auffällig: Kaum ein demokratischer Mandatsträger in der Region stellt sich öffentlich hinter Innenminister Michael Wilke und den Leiter des Verfassungsschutzes Dr. Andreas Peters – und damit hinter deren klare Worte. Von einem geschlossenen Auftreten der demokratischen Kräfte ist bislang wenig zu sehen – außer „Lippenbekenntnissen“ und „Absichtserklärungen“. Was fehlt, sind direkte, sichtbare Auseinandersetzungen pro Demokratie, wie sie jüngst in Spremberg begannen. Eine Bürgermeisterin und hundert Menschen auf einem Marktplatz sind ein Anfang. Doch die Zivilgesellschaft muss erkennen: Politik war selten so existenziell wichtig wie in dieser angespannten Gegenwart, deren Grundlagen bereits 2013 mit Hilfe sozialer Medien vorbereitet wurden. Aufklärung und politische Bildung sind deshalb die Gebote der Stunde, Schweigen ist keine Option mehr.
Ein Kommentar aus einer dieser aufschlussreichen und zugleich zeitintensiven Debatten, in die ich selbst seit Jahren eingebunden bin – Diskussionen, die man aber im Sinne der Demokratie gerne in Kauf nimmt – zündete schließlich die Idee zu einer Fiktion: Was wäre, wenn die AfD tatsächlich die Regierung übernähme – nicht nur in einem Bundesland, sondern in einem eigenen Staat? Die Antwort darauf ist AfDistan: ein erfundenes Land, geformt nach den wohlklingenden, aber strategisch verklausulierten Vorgaben des AfD-Parteiprogramms, das ich seit Jahren aufmerksam verfolge und analysiere.
Abschottung als Staatsdoktrin
AfDistan grenzt sich klar von der Welt ab. Das Programm fordert die „vollständige Wiederherstellung der Grenzkontrollen“ und die „Beendigung illegaler Migration“. Asylanträge sollen außerhalb des Landes bearbeitet, Geflüchtete in sogenannten „Gewahrsamszentren“ untergebracht werden.
Die Folgen wären gravierend: fehlende Erntehelfer in der Landwirtschaft, fehlendes Pflegepersonal in Altenheimen, stockender Warenverkehr. Was als Schutz des Arbeitsmarktes verkauft wird, mündet in Fachkräftemangel und Isolation.
Programm-Text:
„Illegale Migration beenden. Grenzkontrollen vollständig wiederherstellen. Zuwanderung nur bei Integrationsfähigkeit und -bereitschaft.“
— AfD-Grundsatzprogramm Programm für Deutschland, beschlossen November 2022, Abschnitt „Demokratie und Grundwerte“, S. 45.
Familie statt Karriere
Die Gesellschaftspolitik in AfDistan ist klar ausgerichtet: Frauen sollen Kinder bekommen, nicht Karriere machen. Ganztagsbetreuung und Gleichstellungsprogramme würden zurückgefahren, Steuererleichterungen belohnen Familien mit mehreren Kindern.
Quotenregelungen lehnt die Partei kategorisch ab. Das Leistungsprinzip gilt ausschließlich in der Logik traditioneller Rollenbilder – und die sieht die Frau vor allem als „Rückgrat der Familie“.
Programm-Text:
„Die grundgesetzlich garantierte Gleichberechtigung von Mann und Frau hat mit der vom Parteienkartell propagierten Gleichstellung und Gleichmacherei nichts zu tun. Die AfD lehnt jede Art von Quoten ab.“
— AfD-Bundestagswahlprogramm 2021, Kapitel „Freiheit und Verantwortung“, S. 23 f.
Energiepolitik: Rückkehr ins Gestern
Die Energiewende findet in AfDistan rückwärts statt. Erneuerbare Energien gelten als „unwirtschaftlich“, das Erneuerbare-Energien-Gesetz würde abgeschafft, Windkraftanlagen abgebaut. Stattdessen: Laufzeitverlängerungen für Kohlekraftwerke, Rückkehr zur Kernkraft, russisches Gas über reparierte Nord-Stream-Leitungen. Klimaschutz wird als ideologisches Projekt abgetan.
Dabei greift die Partei gerne zu einem scheinbar wissenschaftlichen Argument: dem „Energieerhaltungsgesetz“. Daraus wird abgeleitet, dass Wind- und Solaranlagen keine zusätzliche Energie erzeugen, sondern angeblich nur Energie „umverteilen“. Physikalisch ist das Unsinn: Das Energieerhaltungsgesetz besagt lediglich, dass Energie nicht verloren gehen kann – es erklärt aber nicht, wie Primärenergiequellen nutzbar gemacht werden. Wind- und Sonnenkraft wandeln erneuerbare Ströme in elektrische Energie um und erzeugen sehr wohl zusätzliche nutzbare Energie.
Programm-Text:
„Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und aller Eingriffe in den Energiemarkt durch Subventionen.“
— Bewertung des AfD-Grundsatzprogramms, BUND, 2017, S. 12.
„Funktionierende Kernkraftwerke … natürlich wieder ans Netz nehmen; Windräder niederreißen; Nord-Stream-Leitungen instand setzen.“
— Alice Weidel, Rede auf dem AfD-Bundesparteitag, Riesa, Januar 2025
Wirtschaftlicher Kollaps in AfDistan
Ein Staat, der Subventionen streicht, erneuerbare Energien abbaut und internationale Märkte meidet, verliert seine Wettbewerbsfähigkeit. Forschung und Entwicklung in Schlüsselbranchen – von KI über Biotechnologie bis zur Energieinnovation – würden mangels Förderung ins Ausland abwandern. Unternehmer, die global denken, investieren nicht in ein Land, das sich bewusst isoliert.
Das Resultat: schrumpfendes BIP, steigende Arbeitslosigkeit, sinkende Produktivität. Deutschland – im realen Ranking noch immer drittgrößte Volkswirtschaft der Welt – würde im Szenario AfDistan in wenigen Jahren massiv zurückfallen.
Gleichzeitig steigen die Kapitalmarktzinsen:
- Ratingagenturen wie Moody’s oder S&P bewerten politische Stabilität, Wachstumsaussichten und Investitionsklima.
- In AfDistan herrscht politische Unsicherheit, Fachkräftemangel und Isolation – alles Faktoren, die Ratings nach unten ziehen.
- Ein schwächeres Rating bedeutet: Staatsanleihen werden nur noch zu höheren Zinsen gekauft.
Das treibt die Staatsverschuldung nach oben, gerade weil der AfD-Steuerplan die Einnahmen massiv reduziert.
- Laut Berechnungen des ZEW würde das AfD-Steuermodell Einnahmeverluste im dreistelligen Milliardenbereich verursachen.
- Gleichzeitig müssten Importkosten für Energie steigen, da heimische erneuerbare Produktion abgeschaltet würde.
Am Ende entsteht ein Teufelskreis: weniger Einnahmen – mehr Ausgaben – höhere Zinsen – steigende Verschuldung.
Das internationale Investorenvertrauen sinkt, Staatsanleihen verlieren an Attraktivität. Deutschland würde im globalen Ranking von einer ökonomischen Führungsnation zu einem instabilen Schul
Steuerpolitik: Entlastung für wenige
Bei den Steuern setzt AfDistan auf einen radikal vereinfachten Tarif: einheitlich rund 22 % Ertragsteuer, höchstens 25 % mit Zuschlägen, dazu ein Grundfreibetrag von 15 000 € pro Erwachsenen und 12 000 € pro Kind. Erbschaft-, Grund- und Gewerbesteuer würden gestrichen, ebenso der Solidaritätszuschlag.
Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) entstünden durch diese Reform Mindereinnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe, die vor allem Hochverdiener entlasten. Das ZEW berechnet: Eine Familie mit niedrigem Einkommen würde netto verlieren, Spitzenverdiener hingegen um über 19 000 € jährlich entlastet.
Programm-Text:
„Einheitlicher Ertragsteuersatz 22 %; Grundfreibetrag 15 000 € (Erwachsene), 12 000 € (Kinder); Abschaffung von Erbschafts-, Grund- und Gewerbesteuer sowie Solidaritätszuschlag.“
— Antrag der AfD-Bundestagsfraktion vom 26. Juni 2025 (hib-Meldung 256/2025).
Kultur im Rückzug
Auch die Kulturpolitik folgt diesem Kurs: Subventionen sollen gekürzt, „politisch korrekte“ Projekte gestrichen werden. Marc Jongen, kulturpolitischer Sprecher der AfD, sprach von der „Entsiffung des Kulturbetriebs“. Dahinter steht ein ideologisches Ziel: Kunst, Theater und Kultur sollen nicht mehr Spiegel der Gesellschaft sein, sondern Dienstleister einer nationalen Identität.
Programm-Text:
„Kulturförderung ist auf nationale Identität und kulturelles Erbe auszurichten.“
— AfD-Bundestagswahlprogramm 2021, Kap. „Kultur, Sprache und Identität“, S. 58.
Wirtschaft ohne Subventionen, Wachstum ohne Innovation?
AfDistan verspricht sich Wachstum durch den Abbau staatlicher Förderung. Subventionen für Zukunftsbranchen wie erneuerbare Energien oder Digitalwirtschaft würden gestrichen. Übrig bleiben klassische Industrien, unterstützt von günstiger Kohle- und Atomenergie.
Doch die Realität: Das europäische Stromnetz ist eng verzahnt, auch weltweit gilt Energie als vernetzter Markt. Wer erneuerbare Technologien blockiert, isoliert sich von Märkten, Innovationen und Investitionen. Wachstum ohne Teilhabe an globalen Zukunftsmärkten bleibt eine Illusion.
Kampf gegen NGOs
Nichtregierungsorganisationen gelten in AfDistan als Gegner. Im Programm heißt es: „Keine staatliche Förderung für NGOs, die unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit politische Einflussnahme betreiben.“ Gemeint sind Umweltverbände, Menschenrechtsorganisationen oder Initiativen gegen Rechtsextremismus.
Das Kalkül: Kritische Gegenmacht soll ausgetrocknet, zivilgesellschaftliche Kontrolle ausgeschaltet werden. Was bleibt, ist ein staatlich orchestrierter öffentlicher Raum – ohne unbequeme Stimmen.
Programm-Text:
„Die staatliche Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die politische Einflussnahme betreiben, ist einzustellen.“
— AfD-Bundestagswahlprogramm 2021, Kap. „Demokratie und Bürgerrechte“, S. 31.
Medien unter Kontrolle
Besonders deutlich wird die autoritäre Schlagseite in der Medienpolitik. AfDistan würde die Rundfunkstaatsverträge kündigen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk radikal verkleinern. Redaktionen, die sich nicht auf Linie bewegen, stünden unter massivem Druck, Förderungen für unabhängigen Journalismus würden gestrichen.
Die Konsequenz: Weniger Vielfalt, weniger Kontrolle, weniger investigativer Journalismus. An die Stelle kritischer Berichterstattung träte ein staatsnaher Medienbetrieb, der Nachrichten gefiltert und gleichgeschaltet präsentiert. Für eine Demokratie wäre das ein herber Schlag – für AfDistan wäre es Programm.
Programm-Text:
„Wir fordern die Kündigung der Rundfunkstaatsverträge und eine grundlegende Neuordnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.“
— AfD-Bundestagswahlprogramm 2021, Kap. „Medien und Rundfunk“, S. 75.
Volkseinheit statt Vielfalt
Außenpolitisch zieht sich AfDistan zurück. EU-Mitgliedschaft gilt als Fessel, internationale Abkommen zu Migration und Klimaschutz werden gekündigt. Partner sind Staaten ohne demokratische Mindeststandards. Die ideologische Basis ist das Konzept einer ethnisch homogenen „Volksgemeinschaft“ – vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft.
Programm-Text:
„Völkische Abgrenzung, Zurückweisung internationaler Standards, Betonung der Volksgemeinschaft als homogene Kultur.“
— Auswertung der Verfassungsschutzberichte 2023/2024.
Fazit – Von der Fiktion zur Realität
Wie Parolen zur Gesetzesgrundlage werden. Doch was zunächst als literarisches Experiment erscheint, macht sichtbar, wie tiefgreifend die AfD in grundlegende Rechte und Strukturen eingreifen würde: Einschränkung der Pressefreiheit, Aufkündigung internationaler Verträge, Verengung der Kultur, Unterdrückung von NGOs und die Rückkehr zu autoritären Rollenbildern.
Übertragen auf Deutschland und deren Bundesländer hieße das nichts anderes, als das Grundgesetz in zentralen Punkten auszuhebeln. Denn gleich mehrere Artikel des Grundgesetzes stehen quer zu den politischen Plänen der Partei:
- Art. 1 GG: Schutz der Menschenwürde – unvereinbar mit der Idee einer ethnisch homogenen „Volksgemeinschaft“.
- Art. 3 GG: Gleichheit vor dem Gesetz – verletzt durch Diskriminierung von Frauen, Minderheiten und Migranten.
- Art. 5 GG: Presse- und Meinungsfreiheit – bedroht durch Pläne zur Einschränkung und politischen Kontrolle der Medien.
- Art. 9 GG: Vereinigungsfreiheit – tangiert durch die gezielte Austrocknung von NGOs und Vereinen.
- Art. 21 GG: Parteienprivileg – in Absatz 2 ist festgelegt, dass Parteien, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen wollen, verfassungswidrig sind.
Gerade dieser letzte Punkt ist entscheidend: Wenn eine Partei offen darauf hinarbeitet, demokratische Grundrechte zu beschneiden, die Gewaltenteilung zu schwächen und gesellschaftliche Vielfalt zu unterdrücken, dann wird ein Verbotsverfahren nicht nur denkbar, sondern notwendig.
AfDistan bleibt ein fiktives Konstrukt. Doch die Programmatik ist real. Und sie zeigt, dass ein Land, das nach diesen Regeln geführt würde, nicht mehr das Land des Grundgesetzes wäre. Genau deshalb eröffnet das Grundgesetz selbst die Möglichkeit, Parteien zu verbieten, die seine Substanz angreifen.
Und genau dafür ist der Verfassungsschutz seit Gründung der Bundesrepublik das Organ, das über den Schutz der Demokratie wacht. In Brandenburg sind es Ministerpräsident Dietmar Woidke, Innenminister Michael Wilke und Verfassungsschutzchef Dr. Andreas Peters, die ein mögliches AfD-Verbotsverfahren vorantreiben – weil ständige Hetzkampagnen und das gezielte Bashing demokratischer Institutionen längst den politischen Grundfrieden unterwandern wollen.
Ein solches Verfahren wäre nicht nur ein juristischer Schritt, sondern auch ein politisches Signal: dass Demokratie wehrhaft ist und sich nicht selbst abschafft. Interkulturelle Verständigung und Migrationsvielfalt könnten dann wieder stärker in den Vordergrund treten – als Gegengewicht zu den Dystopien aus Angst und Ausgrenzung.
Am Ende bleibt eine klare Mahnung: Eine Gesellschaft ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Wer dieses Glied bewusst schwächt, riskiert den Zerfall des Ganzen.












