Zusammenfassung der Lesung 2 Minuten
In den Showräumen von 1Komma5° in Potsdam fand eine Lesung statt, die den Blick auf Europa, Russland und die tektonischen Verschiebungen der Weltordnung schärfte. Eingeladen hatte der Unternehmerverband Brandenburg Berlin (UVBB), der seit Jahren Formate anbietet, die wirtschaftliche Realität, technologische Entwicklung und geopolitische Einordnung miteinander verbinden.
Begleitet wurde die Veranstaltung von Wolfgang Matzke, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin. Matzke ist Mitglied des Präsidiums des UVBB und tritt dort regelmäßig als Referent auf. Er unterstützt den Verband in verschiedenen Fach- und Netzwerkformaten – und auch diese Lesung wurde durch sein Engagement ermöglicht. Zugleich hob Matzke hervor, dass jenseits der bekannten Märkte neue wirtschaftliche Räume entstehen, etwa in Abchasien, einer Region, die hierzulande kaum jemand kennt, die er jedoch selbst schätzen gelernt hat – nicht zuletzt wegen ihrer ausgeprägten Gastfreundschaft und der Offenheit für internationale Kooperationen.
Im Mittelpunkt des Abends standen die Autoren Uwe Leuschner und Dr. Thomas Fasbender, die ihr gemeinsames Werk „Der Eurasien-Komplex – Warum und wie dem Westen die Zukunft entgleitet“ vorstellten. Die Lesung war dialogisch angelegt: Beide Autoren trugen zentrale Passagen abwechselnd vor und nahmen dabei jeweils Fäden aus der Darstellung des anderen auf – ein Westdeutscher und ein Ostdeutscher, zwei biografische Linien, die im Buch zu einer gemeinsamen Analyse verschmelzen.
Aufzeichnung der Buchlesung vom 19. November 2025
Zu Beginn lasen Leuschner und Fasbender aus den einleitenden Kapiteln, die den russischen Angriff auf die Ukraine als biografische Zäsur beschreiben. Beide schildern im Buch eindringlich, wie sie diese Nachricht am 24. Februar 2022 erreichte – Leuschner in Wien, Fasbender am Vorabend in Berlin, während einer Podiumsdiskussion über seine Putin-Biografie. Diese Stelle prägte auch die Atmosphäre der Lesung, denn sie markiert im Buch den Übergang von persönlicher Erfahrung zur geopolitischen Analyse.
Passagen, die den Rahmen des Buches sichtbar machen
Darauf folgten Abschnitte, in denen beide Autoren ihre sehr unterschiedlichen Sozialisierungen und beruflichen Wege darstellen: Leuschner als Ostdeutscher, geprägt durch die Netzwerke und Austauschprogramme der DDR, sprachkundig und tief mit den östlichen Wirtschaftsräumen vertraut; Fasbender als Westdeutscher, der seit den frühen 1990er-Jahren in Moskau lebte, arbeitete und die Transformationsphase des Landes aus nächster Nähe erlebte. Die vorgelesenen Passagen verdeutlichten, wie sehr diese Biografien das Verständnis von Eurasien prägen – und weshalb ein gemeinsamer Blick nur durch differenzierte Erfahrung möglich ist.
Eurasien als Erfahrung und als Denksystem
Einen Schwerpunkt legten die Autoren auf jene Kapitel, die den Begriff „Eurasienkomplex“ erklären. Der Begriff wird nicht territorial verstanden, sondern psychologisch: als Geflecht historischer Ängste, kultureller Projektionen und tradierter Muster, die den westlichen Blick bis heute prägen. Europa, so die Kernthese der vorgelesenen Abschnitte, ringt weniger mit der Wirklichkeit des Ostens als mit seinen eigenen Bildern davon.
Besonders eindrucksvoll war jene Passage, in der Leuschner und Fasbender die Motivation ihres Buches erläutern. Sie berichten dort – und lasen dies an diesem Abend vor – dass sie „über Erlebnisse und Erfahrungen im Osten“ schreiben, die sie über Jahrzehnte hinweg begleitet haben. Ihr Anspruch sei nicht, aus der Distanz heraus zu urteilen, sondern Zeugenschaft, Erfahrung und persönliche Wahrnehmung in einen Dialog mit der westlichen Gegenwart zu bringen.
Potsdam als Bühne für einen Perspektivwechsel
Die Wahl des Veranstaltungsortes verlieh der Lesung einen zusätzlich passenden Rahmen. 1Komma5° steht für technologische Transformation und Energiewende – Themen, die auch im Buch indirekt mitschwingen, weil geopolitische Verschiebungen künftig in enger Verbindung zu Energiefragen, Lieferketten und technologischer Souveränität stehen werden.
Der UV-BB zeigte mit dieser Veranstaltung einmal mehr, wie wirtschaftsnahe Netzwerke Räume schaffen, in denen geopolitische Perspektiven, unternehmerische Interessen und gesellschaftliche Fragestellungen miteinander ins Gespräch kommen.
Ein weiterer Akzent des Abends: Abchasien als unerwartete Perspektive
Einen besonderen Akzent setzte an diesem Abend Wolfgang Matzke, der vor der eigentlichen Lesung einen kurzen Film über Abchasien zeigte – eine Region, die in Deutschland kaum wahrgenommen wird und zugleich wirtschaftlich wie kulturell einen faszinierenden Randraum Eurasiens bildet. Matzke schilderte seine eigenen Eindrücke einer Reise in das kleine, zwischen Kaukasus und Schwarzem Meer gelegene Land und warb dafür, im kommenden Jahr eine Unternehmerreise dorthin zu organisieren.
Aus seiner Sicht sei Abchasien geprägt von einer bemerkenswerten Gastfreundschaft, einem erheblichen wirtschaftlichen Bedarf und offenen Türen für Kooperationen. Der Verweis auf mögliche Geschäftsanbahnungen diente nicht als touristischer Appell, sondern als Hinweis auf einen jener Räume, in denen sich – abseits geopolitischer Schlagzeilen – neue Märkte und Dialogräume auftun.
Besonders eindrücklich blieb die abchasische Gründungslegende, die Matzke erzählte:
Als Gott die Völker der Erde zu sich rief, um ihre Wünsche entgegenzunehmen, verspätete sich der Abchasier. Er erklärte, er habe Gäste gehabt und könne diese doch nicht allein lassen. Gott soll darauf geantwortet haben, dass er gerade dafür belohnt werde – mit einem Land, das so schön sei, dass er es eigentlich für sich selbst vorgesehen habe.
Diese Geschichte, charmant und selbstbewusst zugleich, verlieh dem Abend einen zusätzlichen kulturellen Rahmen: Sie knüpft an das Buchthema an, das immer wieder davon erzählt, wie Regionen jenseits westlicher Wahrnehmungsgewohnheiten ihre Identität, Würde und ihren eigenen Platz im Gefüge Eurasiens behaupten.
Die anschließende Diskussion war entsprechend intensiv: Fragen zu persönlichen Erfahrungen in Russland, zu den wirtschaftlichen Chancen und Risiken im eurasischen Raum, zur Rolle Chinas, aber auch zur Fähigkeit Europas, mit einer multipolaren Welt umzugehen, bestimmten den Austausch. Viele Teilnehmende nutzten die Gelegenheit, die Autoren weit über ihren Vortrag hinaus zu befragen.












